Sonntag, 12. Mai 2013

San Lorenzo - ein Verkehrsknotenpunkt

     Es war eine der abgelegensten Gegenden des Landes, an einem Flussdelta, aber noch im Inland. Doch der Fluss ist nicht weit entfernt die Grenze zu Kolumbien. In diese Ecke Ecuadors hatten sich in früher Kolonialzeit Negersklaven zweier untergehender Schiffe auf dem Weg nach Chile an Ufer gerettet, die dortigen Indianer verdrängt und über Jahrhunderte ein Leben in den Wäldern geführt ähnlich dem ihrer Heimat, nämlich Ghana. Selbst die Sprache blieb lange erhalten, es fehlte die Verbindung zu Außenwelt. Die kam so langsam mit der Eisenbahn als Fortsetzung der Linie Guayaquil - Quito über Ibarra und wieder an die Küste vor 100 Jahren. Der Zug und das Schiff waren die einzigen Verbindungen dorthin. HCJB Global hat sich in dieser Region bei der Ausrottung der Flussblindheit mit einer Augenklinik und mobiler Klinik in all den Dörfern am Rande der Flüsse engagiert. Heute gibt es noch eine kleine Klinik für die Armen.
Aber ganz so arm ist diese Gegend lange nicht mehr. Denn vor 15 Jahren wurde eine Straße gebaut. Sie bedeutete für die Eisenbahn und den Urwald den Tod. Eine ganze Küstenregion wurde entgegen aller Beschwörungen der Regierung und Gesetze zum Schutz des Regenwaldes abgeholzt. An seine Stelle trat die afrikanische Ölpalme in riesigen Plantagen. Seitdem haben die Menschen dort Arbeit und verdienen Geld.
     Aber daneben ist San Lorenzo zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt geworden, nämlich zum Nachbarn Kolumbien. War die Mole bisher Umschlagpunkt für Waren aus den Fincas, dem Fischfang und der Güter, wie Sprit und Werkzeuge zu den Dörfern, ist San Lorenzo jetzt Warenumschlagplatz zwischen Kolumbien und Ecuador und das macht sich die Mafia auch zu Nutzen. Einer jetzt veröffentlichen 64-seitigen Studie der UNO ist San Lorenzo ein Umschlageplatz für Menschen.
     Da ist zunächst die Prostitution. Mädchen so ab 13 oder 14 kommen aus Kolumbien. In und um San Lorenzo gibt es derzeit 7 offizielle Night-Clubs. Die Mädchen sind aber oft nur auf Durchgang hier, um dann weiter in alle Teile Ecuador vermittelt zu werden. Aber es sind in der Mehrheit junge Männer zwischen 15 und 25 Jahren, zunehmend auch Frauen, die die andere Richtung einnehmen, nämlich von Ecuador nach Kolumbien. Die FARC und andere Guerillaorganisationen haben zunehmend Nachwuchssorgen. Den holen sie aus dem Ausland. Außerdem braucht die Mafia Arbeiter auf den Cocafeldern. Das sind längst keine großen Plantagen mehr, sondern meist versteckte kleine Felder mitten zwischen Bananen oder Urwald, damit sie aus der Luft nicht so schnell entdeckt und per Sprühen von Pilzkrankheiten aus Flugzeugen vernichtet werden können. Besonders zur Zeit der "Ernte" der Cocablätter und in der sogenannten Küche - den Drogenlabors, werden Arbeiter gebraucht. Der Arbeitsmarkt wird über San Lorenzo abgewickelt.
Dahinter stecken bestens organisierte Banden: Die FARC - Fuerzas Armadas Revolucionarios de Colombia, die ELN - Ejercito de Liberación Nacional -die Águilas Negras oder Los Rastrojos, letztere paramilitärische Organisationen, die den Kampf gegen die Guerilla aufgenommen hatten, aber inzwischen auch in den Sumpf des schnellen Geldes durch Drogen in Verbindung mit dem Sexgeschäft abgerutscht sind.
Die Polizei und die dort stationierte Marina sind machtlos. Der Verkehrsknotenpunkt ist unter ihren Augen entstanden. Es gibt starken Verdacht, dass zumindest die Polizei in einige der Machenschaften verwickelt sei.
     Ich sehe eine ganz andere Parallele: Was in Europa derzeit über Gender-Mainstreaming, Sexualisierung der Jugend und Zerstörung von moralischen Schranken und Familie durch angebliche moderne Lebensweise geschieht, läuft hierzulande als brutaler Krieg in anderer Weise ab. Das Ergebnis ist das Gleiche. Ich arbeite jeden Monat einen Tag in San Lorenzo und behandle Patienten. Vom Verkehrskontenpunkt der Mole bekomme ich persönlich wenig mit, wohl aber ein klein wenig der Sorgen der Flüchtlinge aus Kolumbien, der Probleme der Menschen und ihrer harten Arbeit auf den Plantagen und hier und da auch der sexuellen Ausbeutung einiger Frauen. Wir brauchen mehr Zeugen Jesu an diesen "Verkehrsknotenpunkten der Welt" Wer ist bereit, sich dahin rufen zu lassen?

Samstag, 11. Mai 2013

Eine Form, Dank weiter zu geben

Julia ist 32 Jahre alt und lernt einen Mann kennen, den sie gerne heiraten möchte. Nach einem Motorradunfall liegen beide zusammen in einem Zimmer, weil sie nach eigenen Angaben verheiratet sind. Das ändert sich plötzlich, als seine Mutter und seine schwangere Frau am nächsten Morgen auftauchen. Er ist nach wenigen Tagen soweit, das Krankenhaus zu verlassen und verschwindet. Sie bleibt mit instabilem Beckenbruch und einem völlig zertrümmerten offenen Fersenbein noch weitere 10 Tage im Hospital. Jetzt ist längst das Geld der Versicherung aufgebraucht, aber wir können Julia nicht einfach so entlassen.
Sie selbst ist ein "gebranntes Kind", vom Stiefvater 2 Jahre lang sexuell missbraucht worden. Mit 11 Jahren verließ sie das "Zuhause", schlug sich auf der Straße durch, hat inzwischen einen fast 17 - jährigen Sohn. Beide leben in einem Zimmer, schlafen auf Matratzen ohne Bettgestell. Sie schlägt sich als Hausangestellte durch, die stundenweise hier und da ihr Geld verdient. Sie hat dem Mann geglaubt, und ihr großes Glück erahnt. Der Motorradunfall - er stark alkoholisiert - hat den Traum nicht nur platzen lassen, sondern sie in ein noch tieferes Loch gestoßen. Wie soll sie die nächsten 3 - 4 Monate überleben, in denen sie nichts verdient? ihr Sohn weiter zur Schule und beide etwas essen müssen. Und auch dann geht es nicht normal weiter.
Wir haben versucht, für sie Hilfe zu finden. Es gibt in unserem sozialistischen Staat viel Hilfe für Kinder und Alter. Da hat sich wirklich viel geändert. Doch Julia fällt hier bei allen Behörden durch das soziale Netz. Also keine Hoffnung!

Bildwechsel: Vor Jahren kam eine Familie zu uns nach einem fürchterlichen Verkehrsunfall: Sie waren schon vorbehandelt worden. Wir haben Vater, Mutter und Tochter zig-mal operiert. Auch da sind Träume geplatzt. Endergebnis: Die Tochter kann gerade so eben laufen, braucht aber noch weitere Operationen im Wachstumsverlauf, der Vater ist auf einer Seite unterschenkelamputiert, hat sich dann nochmals bei einem Sturz den Oberschenkel gebrochen. Die Mutter ist beidseits ober - und unterschenkelamputiert. Sie kann kaum mit Krücken laufen und bevorzugt den Rollator. Die Familie hat nicht nur ihr Auto und die Arbeit verloren. Sie hatten nichts mehr. Aber eine Gemeinde von Christen in Puyo haben sich ihrer angenommen. Es gab keinen Tag ohne Besuch im Hospital. Sie hatten immer zu Essen, Transport ins Krankenhaus. Heute ist diese Familie Teil der Gemeinde mit einer Liebe zu Jesus, die man spüren kann. Der Mann hat inzwischen eine Arbeit und kann die Familie ernähren.

Die Gemeinde hatte seinerzeit Julia für zwei Jahre und 100 Dollar im Monat angestellt, um die Familie zu versorgen. Gestern waren diese da, um Julia zu sagen, dass sie sich um sie kümmern werden. In zwei Tagen ist alles soweit vorbereitet. Dann kann sie bei ihnen wohnen. Auf einmal leuchten Julias Augen, hat sie weniger Schmerzen und wieder eine Zukunft. Auf die Frage, warum sie das machen kam die lapidare Antwort: "Wir haben in aussichtloser Situation soviel Hilfe erfahren. Wir wollen unseren Dank weitergeben!"

Mittwoch, 8. Mai 2013

Außenpolitischer Streit

Außenpolitisch ist derzeit einiges am Gären und das in der Zeit, in der die neue Regierung gebildet wird. Am 24. Mai tritt sie ihr Amt an. Seit Wochen wird über die Details der Programme verhandelt. Die Präsidentenpartei wird darin die absolute Mehrheit haben und kann so ziemlich alles bestimmen, also scheint alles glatt zu gehen.
Doch mitten da hinein ein Paukenschlag: Die jährliche Feier der Nationalen Union der Presse. Es ist eine Versammlung der privaten Zeitungen, also derzeit der nicht-Regierungspresse. Sie propagiert die Freiheit der Pressemeinung.
Erinnern wir uns, dass erst letztes Jahr ein Prozess gegen die größte Zeitung des Landes und gegen zwei Journalisten wegen eines Buches geführt wurde. Die Urteile endeten in Millionen Entschädigung für den Präsidenten. Keiner hätte diese Summe bezahlen können. Dann hat der Präsident in einer internationalen Pressekonferenz auf Spanisch, Englisch und Französisch den Unterlegenen großzügig die Schuld erlassen mit den Worten: "Ich erlasse die Strafe, aber ich vergesse nicht!" Seitdem ist jede regierungskritische Presse mehr als vorsichtig. Die Titelseiten ergötzen sich in Fußball, dem Tourismus und lokalen Gegebenheiten. Und dann der Paukenschlag: Der US-amerikanische Botschafter, der einzige Botschafter auf der Pressekonferenz schreibt an eine Wand, an der jeder seine Meinung kundtuen kann: Die einzige Sicherheit für die Freiheit ist eine freie Presse -Zitat von Thomas Jefferson, einem frühen amerikanischen Präsidenten .
Seitdem laufen die Reaktionen Sturm. Unser Präsident hat mehrere nationale Radiosendungen geführt, an der alle Sender mitmachen und ihr Programm unterbrechen müssen. Er hat den Botschafter "Verfluchten" und "Unerzogenen" genannt. Inzwischen wurde er vom hiesigen Außenminister ernst verwarnt. Dieser nannte ihn einen Grafittitäter. Beim nächsten Akt ähnlicher Art gäbe es ernste Konsequenzen, was auf Diplomatisch soviel wie Rausschmiss bedeutet.
Dabei ist erst vor 2 Jahren die damalige US-amerikanische Botschafterin des Landes verwiesen worden, nachdem Wikileaks einige ihrer geheimen Kommentare über die Regierung veröffentlichte. Da lagen die diplomatischen Beziehungen zum großen Bruder im Norden für lange Zeit auf Eis.
Jetzt wird sich Mancher fragen, was das mit Außenpolitik zu tun hat? Die neue Regierung macht derzeit eine Kehrtwendung. Bisher wurden Partner gesucht wie die Chinesen oder auch der Iran, nur um die Abhängigkeit zu den USA zu verringern. Die Chinesen haben das Land besetzt. Sie bauen Großprojekte, sie bauen inzwischen Autos in Ecuador. Reifen und vieles andere kommen aus China und unser Erdöl gehört dem Reich der Mitte. Persien ist auch kein zuverlässiger Partner mehr. Also fährt Ecuador nun auf die EU ab. Unser Staatsoberhaupt hat vor kurzem Deutschland besucht, ein Besuch der wechselnden Interessen. Gemeint war die gesamte EU. Seit einiger Zeit sieht man vermehrte Importe von LKWs aus Deutschland. Anderes ist weniger sichtbar. Und Geschäftspartner kritisieren einander nicht. Die USA lassen sich da nicht so einfach vor ihrer Haustüre Geschäfte wegnehmen, also werden Menschenrechte vorgeschoben. Ein Botschafter geht nicht einfach als Sonntagsspaziergang zu so einer Konferenz, zumal er der einzige Botschafter war. Die gerade noch freie Presse freut sich über die Rückenstärkung. Aber der Stachel des Anstoßes sitzt ebenfalls tief.
Wie anders derzeit der Ärger mit dem südlichen Nachbarn Peru, wo der hiesige Botschafter sich mit zwei Frauen in einem Supermarkt gestritten und sie beleidigt haben soll. Die fordern ein strafrechtliche Klärung des Falles, was Ecuador ablehnt. Jetzt wird über einen Austausch des Botschafters nachgedacht - Lösung auf südamerikanisch, aber es zeigt die fehlende Freundschaft zum sozialistischen Präsidenten Perus an, der doch eigentlich unser Freund sein sollte.

Montag, 6. Mai 2013

Auch in Ecuador ist die Rente nicht mehr sicher

IESS ist die Abkürzung für Instituto de Seguridad Social Ecuatoriana, das staatliche Sozialversicherungssystem. Es wurde 1970 während einer Militärdiktatur und dem beginnenden Ölrausch gegründet, als man im Osten des Landes Erdöl entdeckte. Es wurde als Dachorganisation der wichtigsten Nöte des Landes gegründet. Damals glaubte man noch an Geld für alle.
Drei Versicherungen gehören dazu.
Die größte ist die Krankenversicherung. Mit eigenen Krankenhäusern wird jeder versorgt, der in Arbeit steht. Ein halbes Jahr nach Eintritt hat man Anrecht auf ambulante und nach einem Jahr auf stationäre Behandlung.
Die zweite Versicherung ist die der Berufskrankheiten und Berufsunfälle bis hin zu Frührenten.
Die dritte ist die Sozialversicherung der Campesinos, der Bauern auf ihren kleinen Feldern auf dem Land.
Daneben werden aber auch Gelder ausgeliehen. So kann man sich seinen privaten Hausbau mitfinanzieren lassen, es gibt Darlehen für Studiengebühren der Kinder, die dann bei geringem Prozentsatz zurückgezahlt werden müssen.
Der Löwenanteil der Einnahmen ist aber die Rentenversicherung der Mitglieder.
21 % des Lohnes werden in das IESS eingezahlt, knapp die Hälfte vom Arbeitnehmer, etwas mehr vom Arbeitgeber. Doch seit wir Ecuador kennen, ist das IESS am Rande einer Pleite.
Da war zunächst einmal die fehlende Zahlungsmoral. Freiberufliche oder Zusatzeinkünfte gab man grundsätzlich nicht an, also kam auch wenig in der Versicherung an. Das hat sich in den letzten 15 Jahren drastisch geändert. Kontrollen und saftige Strafen haben das Denken fürs IESS und auch fürs Finanzamt geändert. Und mit Computervernetzung ist die Kontrolle immer besser. Weshalb dann heute die Sorgen des Systems?
Das Krankenhausystem ist ein Filz geworden. Gewerkschaften haben ihre Macht ausgespielt und es wurden Medikamente und medizinische Geräte verschoben. Oft genug mussten Dienste an die privaten Arztpraxen abgegeben wurden, die sich um solche Hospitäler ansiedelten. Die medizinischen Dienste waren nicht effektiv genug.
Aber den größten Aderlass hat die jetzige sozialistische Regierung veranlasst.
- War vorher der Arbeiter selbst versichert, ist es jetzt auch seine Frau, die nicht beschäftigt ist und alle Kinder bis 18 Jahren. Plötzlich hat sich über Nacht die Zahl der Versicherten vervielfacht bei gleichen Einnahmen.
- Die Renten wurden deutlich erhöht, was auch sozial nötig und wahlkampftechnisch wirksam war.
- Der Staat braucht Geld und unter dem Motto: Kapital soll nicht auf der Bank liegen, sondern arbeiten, hat der Staat beim IESS Darlehen aufgenommen, die er zusammen mit anderen Verpflichtungen derzeit in Absichtserklärungen zurückzahlt.
- Am meisten macht den Planern aber die Zukunft zu schaffen. Denn die letzte Volkszählung 2010 macht deutlich, dass die Bevölkerungspyramide an der Basis zurück geht. In Kürze wächst Ecuador nicht mehr. Ich habe bei diesem Bericht bewusst die Zahlen weggelassen, denn sie sagen einem Ausländer wenig. Aber derzeit wird ein Rentner von 7 Einzahlern gestützt. 2050 werden es höchstens noch 3,5 aktive Arbeitende sein. Folglich wird auch hier schon nachgedacht über:
-  Das Renteneintrittsalter soll ab 2015 von derzeit 60 Jahre bis 2035 auf 65 Jahre angehoben werden.
- Der Beitragssatz für den Arbeitnehmer soll von derzeit 9,7% des Lohnes auf 17,8% angehoben werden.
- Und sicher werden manche Kredite und Extragelder, die sich ältere Leute als Kredite holen, dann schleifen lassen bis sie versterben, auch nicht mehr so schnell genehmigt.
Als Fazit merkt man, dass staatliche Monopolriesen auf Dauer nicht effektiv sind. Da ist immer Korruption im Spiel, die sich nicht ausmerzen lässt. Aber auch in Ecuador macht sich die Altersspirale und fehlenden Nachkommen bemerkbar - jetzt noch auf dem Papier, bald aber in der Wirklichkeit. Und der Staat muss lernen, sich nicht bedienen zu dürfen. Kredite, die vielleicht andere Regierung nur schwer zurückzahlen können.
 Irgendwann wird aber eine spätere Regierung wieder versuchen, diesen Monopolriesen zu zerschlagen. Dann aber wird sie es wie in der Vergangenheit wieder mit der Bevölkerung zu tun bekommen. Trotz aller Missstände, langen Wartezeit und vielen anderen Unzulänglichkeiten, will doch keine sein IESS missen. Dann werden wieder die guten Seiten erzählt, als die totkranke Oma doch noch weiterleben durfte, wie man den Kredit fürs Haus kam und der Sohn  studieren durfte. Also bleibt das IESS und schwank weiter vor sich hin. Aber ist das in Europa oder Nordamerika anders? Jeder liebt sein System und schimpft, wenn etwas zu langsam geht und die Finanzen einen persönlich betreffen.

Mittwoch, 1. Mai 2013

Tag der Arbeit

Heute ist Gewerkschaftstag mit Großkundgebungen in aller Welt. Je nach politischer Couleur wird die Einheit der Werktätigen beschworen oder werden Ausbeutung am Arbeitsplatz gebrandmarkt. Das ist auch in Ecuador so, obwohl der hiesige Sozialismus wir selten zuvor die restlichen 364 Tage des Jahres ein stark kapitalistisches Gesicht zeigt mit massenweisen Entlassungen über Nacht aus den staatlichen Institutionen.
Aber es gibt noch viele Berufe, meist von älteren Handwerkern, die keiner Lobby und keiner Gewerkschaft angehören und ihr Geld mit kleinen Diensten verdienen.
    Da ist der Uhrmacher. Er verkauft auch Billiguhren, doch sein Geschäft ist der Batteriewechsel von Uhren. Das geht auf der Straße in einem Stand auf dem Gehweg oder einer Garage als Werkstatt - kostet 1 - 3 Dollar und wird sofort erledigt. Dort gibt es auch Uhrarmbänder und anderes.
    Die Schreibmaschine wird immer noch gebraucht. In der Nähe von Ämtern wird dann Formblatt Nr. 18 gebraucht. Es ist ein Blatt DIN A 4 mit Linien. Auf dem werden Anträge geschrieben. Uns als Ausländern fällt es schwer die richtige Form zu finden, aber die Frau auf der Schreibmaschine kennt die ersten 80% des Briefes. Sie schreibt an den Herrn Direktor des Amtes, grüßt Ihn standesgemäß und dann kommt ganz unterwürfig der eigentliche Grund des Briefes. Das ist die richtige Form eines offiziellen Antrags, der dann auch bearbeitet wird. Ohne das Formblatt und die richtige Form läuft gar nichts, auch wenn der Staat verzweifelt versucht, das Internat als Einstieg zu versuchen. Doch über diese technischen Probleme könnten allein wir Bücher schreiben.
    Da ist der Schneider um die Ecke. es gibt welche, die auch Anzüge schneidern oder Kostüme, aber die meisten Schneide3r leben vom Flicken. Ein neuer Reißverschluss, ein Loch zu flicken, etwas ab - oder anzunähen, eine neue Tasche in der Hose. Das wird meist am gleichen Tag noch erledigt. Sie nähen auch Knöpfe an. Wer hat schon eine Nähmaschine zuhause, wer hat Nadel und Faden parat - der Schneider um die Ecke. Wir schätzen ihre prompten und schnellen Dienste.
    Der Sattler an der Straßenecke repariert nicht nur Stühle und Sofas, möbelt sie auf und baut neuen Schaumstoff ein. Er repariert auch Autositze, repariert unser Trambolin. er hat die Nähmaschine für grobe Stoffe und hilft bei anderen Notfällen aus. Dass seine Werkstatt meist der Gehweg ist, ist wie beim Reifenflicker für Auto- oder Fahrradreifen der Stadtverwaltung ein Dorn im Auge, denn die eigentliche Werkstatt ist von der Stadt bezahltes Gelände,. das anders genutzt wird. Gelegentlich muss dann der Fußgänger auf die Straße ausweichen.
    Da ist der Fregador - der Medizinfachmann für umgeknickte Sprunggelenke oder auch Knochenbrüche. Binden werden benutzt, Cremes und Salben aufgelegt oder auch Schienen aus Karton oder Holzstöckchen verwendet. Viele unserer Patienten mit Knochenbrüchen waren vorher beim Fregador.
    Da ist der Friseur um die Ecke für 1,5 - 3 Dollar pro Männerhaarschnitt, der Hutmacher im Süden Ecuadors, der defekte Strohhüte repariert, der Kesselflicker, der durchgescherte Aluminiumhöfe lötet und für weitere 6 Monate vor dem Durchscheuern bewahrt. Viele solcher kleiner Handwerker machen uns da Leben leicht. Sie leben von wenig. Ihre Dienste sind aber wichtig, da sie eine Wegwerfgesellschaft aufhalten - wie lange noch? Sie haben wenig Zukunft aber sind uns allen lieb und wichtig - nicht nur am Tag der Arbeit!