Freitag, 29. Juli 2016

Medizinische Erfahrungen in der Provinz

Wir sind auf unserem Weg in der Klinik um eine Erfahrung reicher geworden, die uns auch persönlich berührt. Deswegen zuerst einmal die Geschichte:
Eine Mitmissionarin unserer alten Mission ist 77 Jahre alt und hilft uns hier und da aus. Sie möchte Teil unseres Teams werden und ist eigentlich noch ganz fit. Bis vor 3 Jahren hat sie als Krankenschwester noch Nachdienste gemacht und manch jüngerer Kraft das Staunen gelehrt, so fit war sie. Jetzt versucht sie, unserer Krankenschwester zu Hand zu gehen und hier und da für einige Stunden mitzuhelfen. Ansonsten besucht sie Indianerfamilien in der Provinz und darüber, zu denen sie in den letzten 15 Jahren Kontakte aufgebaut hat. Sie kennt eine große Zahl Menschen, aber sie kann natürlich nicht andauernd reisen, also braucht sie auch die Zeit, mal einige Tage einfach in einer Klinik stundenweise zu helfen.
Dann eines mitternachts der Anruf, wir sollen doch persönlich zu ihr nach Hause kommen, es gehe ihr schlecht. Die Vermieter rufen uns. Wir finden eine kaltschweißige Person vor, die kaum alleine stehen kann. Sie war wohl kurzfristig ohnmächtig gewesen mit einer Pulsfrequenz von 40. Sie braucht dringend Atropin. Das haben wir in unserer Klinik. Aber was dann? Wie geht es weiter? Dann müssten wir uns die ganze Zeit um sie kümmern, können das aber alleine nicht. Also ins Auto und ins staatliche Krankenhaus bringen. Doch da die Bitte der Vermieter, die sich rührend um sie gekümmert haben: "Bitte ruft den Krankenwagen!" Wer privat kommt, wird als Patient oft nicht angenommen und wieder weggeschickt. "Haltet das System ein!" Also der Krankenwagen, der auch gleich kommt. Und es ist klar, dass die Patienten Hilfe braucht. Wir helfen bei den Anmeldepapieren und stehen bei ihr. Wir dürfen das System im staatlichen Krankenhaus kennenlernen. Da sitzen ca. 15 Patienten im Wartesaal der Notaufnahme. Wir drängeln uns zu unserer Patientin vor, die schließlich nach einigen Hin und Her in ein Bett gebracht wird. Daneben zwei Schwangere, einen in starken Wehen, aber noch in ihrer Kleidung im Bett. Unsere Patienten friert, aber zuerst einmal ein EKG, dann Anschluss an einen Monitor. 45 min. sind bereits vergangen. Die Pulsfrequenz ist auf 32 gesunken, Die Patientin ist unruhig und friert. Nach gut einer Stunde, dann eine Decke. Dann ein venöser Zugang und das erste Atropin - keine Wirkung. So geht es zu insgesamt 6 Atropin alle 10 - 15 min., schließlich weitere Medikation, alle ohne Wirkung. Es ist klar, die Patientin braucht dringend einen Herzschrittmacher. 10 Std. nach Einlieferung wird die Kranke mit immer noch mit 30 Puls pro Minute 5 Std. lang nach Quito verlegt. Unterwegs platzt noch ein Reifen des Krankenwagens und sie fallen fast um. In Quito in Missionskrankenhaus wird sie reanimiert bei extrem niedrigem Puls und erhält schließlich den lebensrettenden Herzschrittmacher.
Unsere Erfahrung: Das staatliche Gesundheitssystem funktioniert, aber nur, wenn jemand dahinter steht und Druck macht. Das Personal arbeitet, aber jeder tut nur das, was er oder sie muss. Da hilft die Schwester nicht dem Arzt und umgekehrt. Jeder kennt seine Aufgabe und Grenzen. Zwischendurch giften sie sich auch mal an. Und die anderen Mitarbeiter sitzen dabei und reden miteinander, aber helfen nicht. Dass da Blut auf dem Boden liegt und eintrocknet, stört keinen. Das ist Aufgabe des Putzdienstes am Morgen, auch wenn es dann schwer wieder sauber zu machen ist. Die Frau im Nachbarbett in ihren Wehen liegt alleine. Der Ehemann wird rausgeschickt. Er stört nur. Stunden später kommt sie an den Wehenmonitor und wird erstuntersucht. Dass da jemand stöhnt, stört keinen. Ist nicht mein Patient. Die Mitarbeiter in der Notaufnahme sind alle freundlich, aber keinen strengt sich wirklich an. Wir müssen Medikamente von der Krankenhausapotheke abholen gegen Unterschrift und mit Personalausweisnummer. Die Mitarbeiter schaffen die 50 Meter bis dorthin nicht. Jeder sitzt an seinem Computer und tippt Daten ein. Der Patient liegt allein.  Wie einfach ist es da in unserer Klinik und hoffentlich baldigem Krankenhaus, einen entscheidenden Unterschied in der medizinischen Versorgung zu schaffen. Deswegen kommen die Menschen zu uns. Es ist nicht die andere Medizin. Es ist die persönliche Zuwendung, die Menschen zu uns bringt.
Und es zeigt uns, dass wir als Missionare im Alter nicht mehr alleine hier sein dürfen. Es gibt eine Grenze, die wir nicht überschreiten dürfen. Dann ist es besser, versorgt zu sein und nicht mehr anderen zur Last zu fallen. Diese Nachwache und die anschließende Organisation der Versorgung haben uns dafür die Augen geöffnet.

Donnerstag, 7. Juli 2016

Der erste Monat "zuhause"

Wir haben wieder vertrautes Terrain betreten und fühlen uns schon ganz zu Hause, d.h. einige von uns, denn die Hälfte der Mitarbeiter sind neu im Team der Mannschaft unserer Klinik in Shell.
Nach dem Wegzug der konkurrierenden Klinik, die aus finanziellen Gründen schloss, ging es ganz schnell. Unsere vorige Mission HCJB, jetzt in Reach Beyond umbenannt, hatte es eilig, das Gebäude nicht lange leer stehen zu lassen. Derr der Staat ist begierig aus solche Objekte und schnell am Enteignen für seine Zwecke.
Das Schöne war, dass die vorherigen Benutzer die Sprechstunde zum Teil neu gestrichen hatten. So mussten wir nur saubermachen.
Der erste Monat war hart, hatten wir doch noch einen Mietvertrag bis Ende 2016 zu erfüllen und gleichzeitig im neuen Domizil 2 Monatsmieten Garantie zu hinterlegen. Und es gab viele kleine Ausgaben bei Änderungen der Einrichtung und weiteren Computer mit der entsprechenden Softwaregebühr. Wieder mussten alle Papiere für die Genehmigung eingereicht werden, dem Gesundheitsministerium passte unser Schild nicht. Das Wort Hospital darf noch nicht erscheinen.
Und trotzdem war der erste Monat ein voller Erfolg. Die Familie, die jetzt wieder in dem vorherigen Haus wohnt, schickt jeden Tag mehrere Patienten, die vor ihrer Tür stehen zu uns. Aber die meisten haben durch Zeitung, Radio und Fernsehen erfahren, dass unsere Gruppe wieder im alten Hospital arbeitet. Die Zahl der Patienten ist leicht gestiegen und die Einnahmen waren besser als erhofft. So konnten wir all Ausgaben bezahlen. Das Personal ist jetzt fest im sozialen staatlichen Gesundheits - und Rentensystem verankert und wir haben Gelder frei zum Reparieren. Der Eingangsbereich wurde mit Pflanzen verschönert. Derzeit entwässern wir eine große Wiese vor dem Sprechstundengebäude. Dieses Gelände brauchen wir zwar später  für einen Erweiterungsbau, aber das dauert noch lange. In unserer Umgebung gibt es kaum Rasenflächen. Selbst Fußballplätze sind meist nur blanke Erde oder Sand. Und wenn es einen Park gibt, dann mit Pflanzen, vor allem Bäumen. Aber Rasen ist rar. Nach der Schule kamen deswegen oft Jugendliche hier vorbei, um sich erst einmal auszutoben mit Flick-Flacks und anderen Kunststücken. Das zeigt uns, dass wir Kindern und Jugendlichen etwas anbieten müssen, aber die Wiese ist in Wirklichkeit ein Sumpf, wo manche Nachbarn Frösche und Kröten für ihren Kochtopf suchten. So ein Gelände kann man kaum mähen und es ist praktisch unbrauchbar. Das ändern wir jetzt durch Entwässerung und haben später Aktivitäten für Jugendliche vor.
Aber ebenso wichtig ist unser Labor, das inzwischen nahezu komplett eingerichtet ist. Es fehlen noch Messungen der Blutgerinnung und dann die Mikrobiologie für Bakterienkulturen. Damit stiegen auch unsere Einnahmen. Wir konnten die Gehälter bezahlen und bereiten die Vorbereitung eines Raumes der Notfallaufnehme für kleine Operationen vor. Wir merken, dass wir viele Operationen auch in Lokalanästhesie durchführen können. Darin sind die Kubaner wieder mal meine Lehrer.
Und wir sind dabei, das Hospital zu renovieren. Das ist zwar nicht unsere Aufgabe, gehört uns doch das Gebäude nicht. Aber wir nehmen es in Beschlag. Das Dach ist an vielen Stellen undicht. Es sind die Lichtschächte mit nach über 30 Jahren gerissenen durchsichtigen Plastikkuppeln. Es geht hier um mehr als die starren Regeln der Vermietung. Wir investieren in unsere Zukunft.
Und die Patienten ermutigen uns täglich, weiterzumachen, denn es ist IHR Hospital, dass sie über die Zeit sehr vermisst haben. Es sind der persönliche Service und die kurzen Wege auch mal zu einem anderen Facharzt hin. Noch haben wir keinen Massenbetrieb. Dafür die Menschen gerne bereit, auch etwas zu bezahlen. Zunehmend kommen jetzt auch Indianer aus den Städten im über 100 km Umkreis. Wir sind dabei, unseren alten Ruf wiederherzustellen. Dieser Anfang macht Freude, auch wenn es meist 12 Stunden Öffnungszeiten sind.

Montag, 4. Juli 2016

Unzufriedenheit des Militärs

Angefangen hat die letzte Protestwelle, als der Staat den Rentenfond des Militärs angriff. Der Rentenfond hatte ein Grundstück in der Hafenstadt Guayaquil erworben, das der Staat nun verkaufen will. Zwischen dem Kaufpreis und dem Verkaufswert klafft eine große Lücke, mit dem die Staatskasse aufgefüllt wird. Im Finanzministerium herrscht nämlich äußerste Geldnot, die auch mit den neuesten Krediten aus China nur verschoben, nicht aber wirklich gelöst wird. Ecuador steckt im zweiten Jahr einer tiefen Wirtschaftskriese und so brechen auch die Steuereinnahmen ein. Jetzt muss jeder helfen, diese Lücke zu schließen. Die Polizei ist derzeit ruhig. Sie hatte vor einigen Jahren aufbegehrt und den Präsidenten Correa sogar für einige Stunden festgesetzt. Das Militär hatte ihn in einer blutigen Schlacht befreit.  Damals wurde die gesamte Polizeistruktur umgestellt. Und Correa war stets bemüht, die guten Beziehungen zum Militär beizubehalten.
Das Ganze bekam seinen Riss durch den Streit um das Grundstück in Guaqyaquil. Es sind vor allem die Rentner der Militärs, die lautstark ihre Stimme erheben. Die aktiven Soldaten können es nicht. Sie sind zur Loyalität verpflichtet.
Präsident Correa hat einen Feuerwehrmann in seiner Partei, Ricardo Patiño. Er hat schon manche Schlacht für ihn geschlagen. Er war lange Zeit Außenminister, besonders in der Zeit der Auseinandersetzungen mit den USA. Dann hat er parteiinterne Schwierigkeiten geschlichtet und das in Rekordzeit von 2 - 3 Monaten. Jetzt ist er Verteidigungsminister. Also spürte Correa klar, dass hier etwas zu verbessern ist. Dieser Minister besucht derzeit die großen Kasernen. Dabei möchte er eine Einheit herstellen zwischen den Berufssoldaten und den Wehrpflichtigen. Dort herrscht nämlich die wirkliche Kluft. In Ecuador gibt es laut Gesetz eine allgemeine Wehrpflicht, zu der nach Jahrgängen aufgerufen wird. Aber die wenigsten gehen wirklich hin. Wer etwas auf sich hält, drückt sich um diesen Dienst mit Geld oder anderen Ausreden. Beispiel: Aus unserer Kirchengemeinde in Quito und jahrelanger Jugendarbeit kenne ich keinen jungen Mann, der in den letzten 26 Jahren eingezogen wurde. Aber die ärmere Bevölkerungsschicht, besonders die Indianer, schicken ihre Kinder zum Wehrdienst. Dann sind sie versorgt, können dort zwei keine wirkliche Berufsausbildung erwerben, aber viele Fähigkeiten, die ihnen später nützlich sein können.

Wie der Streit um die Sozialversicherung der Berufssoldaten ausgehen wird, wissen wir nicht. Wir merken, dass sich allen Äußerungen der Regierung zum Trotz ein anderes Loch auftut. Der bankrotte Staat spart derzeit an den Wehrpflichtigen und hat ihnen die Krankenversicherung gestrichen. Wenn also ein Wehrpflichtiger zum Zahnarzt geht oder sonst ärztlich gehandelt werden muss, dann ist für ihn das Militärkrankenhaus tabu. Dann muss er sich seinen Arzt selbst suchen und bezahlen. Das erleben wir derzeit in unserer Klinik in Shell. Zwischen den Worten eines Ministern und der täglichen Praxis klaffen Welten, aber davon meldet die Presse nichts. Der Streit der Berufssoldaten und ihre soziale Absicherung ist wichtiger als der kleine Soldat. Dort spart der Staat am meisten.