Montag, 17. August 2015

Hitzewellen in Ecuador

Das soziale Klima in Ecuador ist erschüttert. Wir befinden uns in einem unbefristeten Streik gegen die Regierung. Straßensperren wurden und werden errichtet, auch wenn sich das Leben in der Hauptstadt Quito längst wieder normalisiert hat. An der Küste in Guayaquil und in einigen Indianergebieten werden nach wie vor Straßensperren errichtet. Die Opposition ist zwar nicht geschlossen. Zu sehr klaffen die Wünsche der Mittelklasse, die jetzt zur Kasse gebeten wird und die der Indianer auseinander.
Die sieben fetten Jahre sind vorüber und das Land ist längst in die Zeit der 7 mageren Jahre eingetreten. Mitten in dieser sozialen Auseinandersetzung kommt eine weitere Hiobsbotschaft: Der Vulkan Cotopaxi bereitet einen Ausbruch vor. Mitten in der Urlaubszeit mit auch vielen ausländischen Touristen ist der mit 5897 m höchste aktive Vulkan der Erde aus einem langen Schlaf erwacht.
Wieso ist das so schlimm, hat doch Ecuador viele andere viel aktivere Vulkane - den Reventador im Osten und den Sangay, den Pichincha, der um die Jahrtausendwende die Hauptstadt Quito erschreckt hat mit mehreren Ausbrüchen, der Tungurahua, der ständig mehr oder weniger große Staubwolken in die Luft schleudert und die Landwirtschaft in manchen Gebieten darum herum schwer schädigt - dann aber nach Jahren reiche Ernte der fruchtbaren Böden bringt. Das Cotopaxi ist ca 80 km Luftlinie südlich von Quito entfernt. Warum die Vorsichtsmaßnahmen, liegt doch der Pichinchakrater nur ca 12 km von der Stadt entfernt?
Nun, der Cotopaxi ist ein schnee- und eisbedeckter Berg. Zwar schmilzt der Eispanzer im Zuge der generellen Klimaerwärmung erheblich, aber es bleibt genug übrig.
Seit Monaten wird der Berg kontrolliert. Jetzt hat der Präsident den Nationalpark schließen lassen. Nach einigen Schwefel und Gasexplosionen im Krater, ist eine 8 km hohe Staubwolke ausgetreten. Der Berg rumort, was die nahen Anwohner hören können. Jetzt fliegen glühende Lavasteine aus dem Krater und aufs Eis.
Was bedeutet das für die Anwohner? Im Falle eines Ausbruchs und das passierte im 18. Jahrhundert drei Mal, schmilzt die Eiskappe sehr schnell und es bildet sich eine Schlammlawine, die alles mitnimmt. Damals war die Stadt Latacunga drei Mal überflutet und zerstört worden. Vor über 30 Jahren passierte etwas Ähnliches am Cierro Nevado in Kolumbien: Der Vulkan brach aus und füllte ein ganzes Tal mit diesem Schlamm. Tausende von Menschen kamen in diesen Fluten um. Die Bilder von damals aus Kolumbien sind mir noch heute in Erinnerung. Um den Cotopaci bildeten sich bei den Ausbrüchen ebene Flächen mit riesigen Steinen darin, Ergebnis solcher Schlammlawinen.
Deswegen werden jetzt mehrere Maßnahmen getroffen:
Zunächst werden Dörfer in unmittelbarer Umgebung evakuiert. Es sind Dörfer in ca. 20 km Abstand. Dort sind die Wiesen noch heute mit teilweise tonnenschweren Steinen übersät. Dazwischen ein Stein von geschätzten über 100 000 Tonnen Gewicht, der seine 20 km Luftlinie dorthin flog. Jetzt sind vor allem die Krankenhäuser in Latacunga in Gefahr. Sie liegen direkt am Fluss, der dann die Schlammlawinen führen würde. Patienten werden jetzt schon vorsichtshalber evakuiert.
Der Cotopaxi hat den Generalstreik vor den Toren Quitos deutlich geschwächt. Die Streikenden wollen weiter machen, aber die Natur bremst sie. Ob sich die geologische und die soziale Revolution wohl einmal verbinden werden? Es sieht derzeit nicht danach aus.

Dienstag, 11. August 2015

Migration in Lateinamerika

Die Flüchtlinge, die das Mittelmeer überqueren wollen, sind im Fernsehen täglich zu sehen. Und die Reise ist nicht nur ab dem Mittelmeer lebensgefährlich.
Doch Ähnliches spielt sich in aller Welt ab, unter anderem auch in Amerika Richtung den USA. Mittelamerika ist Durchgangsregion, Nordamerika das Ziel. Und diese Bewegung hat ihre eigenen Gesetze, die von außen schwer zu verstehen und eigentlich kaum zu steuern sind. Der Staat ist dabei ebenfalls machtlos.
Es ist vor allem der Süden Ecuadors, der keine Zukunft kennt. Die südlichen Hochlandprovinzen sind wirtschaftlich abgehängt, von der Natur von Trockenheit bedroht sehen die Menschen dort kaum eine Zukunft.
Das hat man in der Wirtschaftskrise um die Jahrtausendwende gesehen. Massenweise verließen Menschen aus dieser Region das Land Richtung Gelobtes Land Spanien oder Italien. Doch der Boom ist längst vorüber. Vielen müssen zurückkehren. Spanien braucht sie nicht mehr. Viele haben sich verschuldet, dort Häuser gekauft, die sie nun nicht mehr abzahlen können und fast alles verlieren. Bleibt die Sehnsucht Nordamerika.
Mundpropaganda ist die Methode, sich eine neue Zukunft zu suchen. Dahinter stecken aber meist Schlepperbanden, oft genug verbunden mit der mexikanischen Mafia. Ca. $ 11.000 kostet so eine Reise in die sogenannte "Goldene Zukunft", die oft in Elend und Tod endet.
Beispielsweise wurden am 22 August 2010 an der mexikanischen Grenze eine Gruppe solcher Illegaler an der Grenze zu den USA in Mexiko von Banden gekidnappt und weil sie nicht zahlen konnten, gezielt getötet. Einer, der den Schuss in den Hals überlebte, nur weil er für tot gehalten wurde, schleppte sich anschließend 22 km bis zu einem Militärstützpunkt. 72 Migranten waren damals erschossen worden. Darunter waren viele Kinder. Jetzt, nach vielen Operationen und weit entfernt, gesund zu sein, lebt er wieder zu Hause in seinem Dorf "Ger" im Süden Ecuadors. Viele der Opfer in Mexiko werden niemals identifiziert, aus so vielen Ländern kommen sie und niemand meldet sie dort als vermisst.
Was sind die Gründe der Wanderbewegung, die viel kostet, den Schlepperbanden Millionen einbringt und das Risiko klar auf die Menschen abwälzt? Es ist in erster Linie die fehlende Zukunftsperspektive zuhause. Viele Dörfer sind von der Außenwelt fast abgeschlossen, nur unbefestigte Wege und wirtschaftlich wenig Verbindung. Landwirtschaft ist wenig konkurrenzfähig.
Aber es kommen noch weitere Gründe dazu:
Internet ist in jedem Ort angelangt, spätestens über das Handytelefon. Damit kommt die Welt in jedes Haus und damit wächst die Begehrlichkeit. Jeder möchte dabei sein und seine Zukunft gestalten. Dann aber sind es in erster Linie die persönlichen Vorbilder, die Menschen bewegen. Einige haben es geschafft und Arbeit in Nordamerika gefunden, sei es legal oder illegal. Viele von denen stehen mit ihren Familien und Freunden im Dorf in Ecuador in Verbindung und schicken Geld. In diesen Dörfern ohne Zukunft stehen neben den traditionellen Adobehäusern dreistöckige Prachtbauten, in denen keiner oder wenige wohnen. Das weckt Träume. Und so verschwinden über Nacht mehr und mehr Personen, die ihre Familie gar nicht oder wenig informiert haben. Und die Familien halten dicht. Deswegen beginnt der Staat jetzt offizielle Volkszählungen in dieser Region.
Zurückbleiben Alte, manchmal mit einer größeren Zahl von Enkeln zur Beaufsichtigung.
Ich glaube nicht, dass sich das Migrationsproblem kurzfristig lösen lässt. Denn neben wirtschaftlichen Gründen ist diese lebensgefährliche Wanderbewegung ein Selbstläufer geworden, an dem Schlepperbanden kassieren und diese Bewegung weiter fördern, die wenigen "Gewinner" die Begehrlichkeit schüren und die Welt gleich Internet ihnen Sand in die Augen streuen, bis sie blind für die Realität werden.
Ist das in Afrika, Afghanistan oder dem Balkan in Richtung Europa anders?

Donnerstag, 6. August 2015

So trifft man sich wieder

Wir haben ein Hausin Shell gemietet, in dem wir ab September Sprechstunde anbieten werden. Wir sind anfangs 6 Ärzte. Es ist die Vorbereitung für das neue Hospital. Es muss endlich mal losgehen. Zu viele Patienten stürmen unsere Wohnung. Doch das gemietete Haus hat einen Nachteil: Das botongegossene Flachdach ist nicht dicht. Es dringt Wasser ein. So platzt an manchen Stellen die frisch gestrichene Farbe schon wieder ab. Der Hauseigentümer hat deshalb beschlossen, eine Stahlkonstruktion  mit einem Metaldach draufsetzen zu lassen. Doch wegen der Regenzeit, die jetzt zuende geht, dauerte es etwas länger. Heute haben wir bei schönem Wetter die letzten Dinge besprochen. In zwei Tagen soll das Dach fertig sein. Wohin mit dem Regenwasser? Hier wird der Regen einfach in den Garten abgeleitet.
Wir unterhalten uns über unseren Hospitalneubau in der Nähe, für den das Gelände vorbereitet wird. Heute Morgen haben wir den genauen Bauplatz des neuen Hospitales festgelegt.

Dabei erzählt mir der Dachdecker, dass sie ihm im Hospital Vozandes del Oriente in Shell vor vielen Jahren das Leben gerettet haben. Ich frage nach und es kommt heraus, dass wir uns kennen, und doch nicht so genau.
1991 habe ich nach einem Jahr im Krankenhaus mein año rural - das Jahr auf dem Land machen sollen, das auch für Ausländer gesetzlich vorgeschrieben ist. Ich bekam damals 235.000 Sucres monatlich, ca $ 200,- als Lohn, den ich natürlich als Missionar abgeben musste. Wir haben deas Geld für mittlellose Patienten verwendet.
Kurz vor dem 01. Oktober 1991 bekam ich vom Gesundheitsministerium den Bescheid, ab 1. Okt im staatlichen Hospital in der Provinzhaupstadt Puyo arbeiten zu müssen. Unser Protest, dass dort nachts kein Anästhesist sei aber in Shell wurde abgelehnt. In der Provinz hätten wir nachts einen Chirurgen im staatlichen Hospital gehabt, in Shell einen Anästhesisten. So wäre die Provinz nachts ohne Notfall OPs geblieben.
Ich war vorbreitet für den nächsten Morgen. Da kamen in der Nacht 2 junge Patienten mit Brustkorbtrauma nach Messerstich mit Lungenverletzungen zu uns. Wir haben beide operiert und sie haben überlebt. Einer davon war der jetzige Dachkonstrukteur, wie wir heute herausfanden. Die Mutter des anderen war damals eine der leitenden Krankenschwestern des staatlichen Hospitales in Puyo. Als sie ihren operierten Sohn besuchte und wir ihre die Zukunftsaussichten der Notfallversorgung der Provinz erklärten, drehte sie sich auf der Stelle herum und bat mich, auf weitere Entscheidungen zu warten. Am 1. Okt. 1991 bekam ich den telephonischen Entscheid, mein año rural am Hospital Vozandes del Oriente in Shell Provinz Pastaza machen zu dürfen.
Heute haben wir uns wiedergetroffen. ER kann sich nicht mehr an mich erinnern. Er war bei der Einlieferung fast bewußtlos und dann froh, überlebt zu haben. Heute haben wir uns wiedergetroffen und uns unsere Geschichte aus beiderlei Sicht neu erzählt. Wir haben uns wieder getroffen - unter anderen Umständen.

Samstag, 1. August 2015

Kleine Anfänge - große Wirkung

Da kommt ein Mann aus Shell am Rande des Amazonasregenwaldes in den 70-er Jahren nach Deutschland. Er sollte Holzverarbeitung erlernen. Seine Firma hatte jemanden gesucht, der sich dort ausbilden lassen wollte.
Viele andere hatten diesen Schritt zu dieser Zeit nicht gewagt, weil Deutschland einfach außerhalb ihres Denken lag - und dann noch die schwere Sprache.
Dieser junge Mann kommt nach Franken und in seiner Freizeit laden ihn Freunde in einen Turnverein ein und begeistern ihn für Gewichtheben.
Nach seinem nicht sehr langen Deutschlandaufenthalt kehrt er zurück nach Ecuador mit vielen Gewichten im Gepäck und macht den Sport zuhause weiter.
Was für ein Sport ist denn das, fragen sich die Nachbarn? Für Fußball oder Volleyball kann man sich noch begeistern, aber wer hat schon im Urwald Sinn für Gewichtheben.
Also trainiert der Mann seine beiden Jungen. Ob sie das am Anfang mit Freuden getan haben? Da war sicher viel Überzeugungsarbeit übrig.
Auf jeden Fall Sind die beiden nach kurzer Zeit DIE Gewichtheber Ecuadors in ihrer Klasse und gewinnen bei Südamerikameisterschaften erste Medaillen. Das macht sie berühmt und nach und nach beginnt ein ganzes Dorf diesen Sport. Shell wird zum Zentrum der Gewichtsheber Ecuadors. Überall sieht man Jugendliche trainieren. Die Teilnahme an Olympischen Spielen bleibt den beiden aber versagt, da Ecuador in dieser Zeit nicht mit einem ganzen Team auftreten kann. das sind nun mal die olympischen Voraussetzungen für eine Teilnahme.
Inzwischen ist Gewichtheben in Ecuador als Sport etabliert. Das nationale Trainingszentrum ist nach Ambato ins Hochland verlegt worden. Shell ist längst nicht mehr das Mekka der Gewichtheber.
Einer der damaligen Vorreiter dieses Sportes ist jetzt Trainer und gibt ein Wissen weiter. Er war mit seinen Schützlingen in den USA zum Training und anschließend kam eine seiner Schülerinnen mit einer Silbermedaille von den Panamerikanischen Meisterschaften dieses Jahr in Kanada zurück. Inzwischen ist Ecuador selbstverständlich bei dieser Sportart mit dabei. 
Es ist wie häufig im Leben: Einer ist begeistert und steckt andere an. Oft muss er sich auch über viele Jahre den Spott der anderen gefallen lassen. Durchhaltevermögen ist gefordert und der Erfolg ist alles andere als garantiert. Aber so können Menschen in ihrem Volk Spuren hinterlassen, jeder mit seinem Talent.