Sonntag, 28. November 2010

Geburt mit Hindernissen

María ist wieder einmal schwanger. Als erfahrene Mutter weiß sie, dass man nicht so schnell ins Krankenhaus gehen sollte. Dort wartet man doch nur viele Stunden auf dem Flur oder wird gar wieder heimgeschickt. Doch die Schmerzen kamen und damit mehrere Hindernisse.
In Ecuador ist am 28. November Volkszählung und somit ab Mitternacht kein Bus - und kein Taxiverkehr. Ausgerechnet da wurden die Wehen schlimmer. Und dann war auch María klar, dass sie nicht mehr bis zum nächsten Nachmittag warten kann. Jetzt hilft nur noch der Nachbar, der ein Auto hat. Der hilft auch bereitwillig und fährt so schnell wie möglich zu uns. Es herrscht sowieso kaum Verkehr. Das dachte auch der andere angetrunkene Fahrer. So rast er bei Rot über die Ampel und kollidiert mit dem Wagen Richtung Entbindung. Dieser Wagen überschlägt sich dreimal. Fahrer und Mutter aber kommen mit vielen Blessuren davon. Den restlichen Weg besorgt der Krankenwagen, wo das Kind unterwegs gesund geboren wird. Die Nachgeburt kam dann im Hospital ans Neonlicht der Welt. Mutter und Kind sind wohlauf, die Mutter mit tiefen Schürfwunden am Unterarm und einigen blauen Flecken. Die beiden Fahrer sind erst Mal im Gefängnis, bis der Fall gerichtlich geregelt wird. Auch das kann einem passieren. Man hilft der Nachbarin aus der Patsche und wird bei der Volkszählung als Gefängnisinsasse geführt.

Donnerstag, 25. November 2010

Familientragik in Lateinamerika

Sie ist im Hospital mit starken Schmerzen über viele Stunden, Er muss draußen warten, denn der Zutritt ist oft nicht gestattet. Eine normale Situation im Kreißsaal in einem staatlichen Krankenhaus Ecuadors. Das Besondere hierbei ist, dass sie 12 Jahre alt ist und er 15. Frühzeitige Schwangerschaften sind keine Seltenheit und in unser Missionshospital im Oriente kommen auch einige Erstgebärende unter 15 Jahren. Dass Mädchen im Urwald früh heiraten, manchmal kurz nach dem Einsetzen der Periode, ist kulturbedingt und normal. Sie sind auch mental darauf eingestellt, Mutter zu werden. Ihre geistige und körperliche Reife liegt noch eng beieinander. Anders sieht das bei sogenannten modernen Menschen aus, bei denen beide Entwicklungen immer weiter auseinander driften. Bei den oben genannten Fällen handelt es sich aber um jungen Menschen aus der Stadt. Ihre Familien sind zerrissen. Und zu einem Großteil sind es Emigrantenfamilien, bei denen mindestens ein Elternteil in Nordamerika oder Spanien arbeitet und die Kinder wenig Betreuung erfahren. Oft sind es die Großeltern, die sie erziehen sollen.
80 % de Erstgebärenden unter 18 Jahren im Süden der Hochlandes Ecuadors sind Emigrantenkinder.
Hier Zahlen aus einer Geburtsklinik von Cuenca im Süden Ecuadors. Von Januar bis Juni 2010 wurden 992 Kinder von Müttern über 18 Jahren geboren und gleichzeitig 973 Kinder von Müttern unter 18 Jahren, davon 19 von unter 14 - Jährigen. Das ist ein zunehmendes Probem der höheren Schulen, in denen ein ernstzunehemnde Zahl der Mädchen schwanger ist oder Kinder stillt. Wie ist da ein normaler Unterricht abzuhalten? Wieviel Rücksicht muss man da walten lassen?
Diese Jugendlichen sind oft nicht nur nicht auf ihre neue Lebensaufgabe vorbereitet, sie werden auch oft von der Familie alleingelassen. Bei ihnen ist die geistige und körperliche Reife zeitlich weit getrennt und sie machen einen großen Reifeprozess durch. Viele denken natürlich an eine Abtreibung, die zwar in Ecuador gesetzlich verboten, in der Praxis aber häufig durchgeführt wird. Aber das kostet Geld, was die wenigsten haben.
Was wäre die Lösung des Problems? Manche rufen laut nach der kostenlosen staatlich abgesegneten Abtreibung. Aber das ist bei Vielen hierzulande undenkbar - wenigstens heute noch. Andere fordern in den Medien stärkere Aufklärung der Sexualität. Ich bezweifle, dass das wirklich das Problem löst. Die bisherige Aufkläung in den Schulen führt nachweislich eher zum Gegenteil. Die Jugendlichen brauchen gute Vorbilder. Wenn die Eltern weg oder getrennt sind, keiner zuhause ist und sie keine emotionale Zuwendung erhalten, wen wunderts, wenn sie die unter den Gleichaltrigen suchen? Und sie brauchen hinterher den Rückhalt der Familie, um wenigstens ihre Schule abschließen zu können. Denn das Ergebnis ist eine junge Mutter, oft genug vom männlichen Partner im Stich gelassen, der auch unreif ist, die Spannungen der jungen Verbindung nicht aushält und geht. Dann schlägt sich die Mutter mit Gelegenheitsarbeitehn durch, beendet in Etappen die Schule oder sogar eine weiterführende Ausbildung. Sie wird zur Kämpferin für sich und ihr Kind und lernt, ohne Mann auszukommen. Männer ihrerseits lernen nicht, Verantwortung zu tragen, sind schwach, brauchen den Alkohol, um sich ihre Männlichkeit zu beweisen und damit haben wir die Gesellschaft Lateinamerikas des Matriarchates eine Generation weiter vererbt.

Sonntag, 14. November 2010

Alle Räder stehen still

Am 28. November 2010 stehen in Ecuador alle Räder still. Keine Taxis, keine Busse, keine Menschen auf den Straßen. Wie bei einem Foto wird ganz Ecuador zuhause festgehalten und darf sich von 7.00 bis 17.00 nicht außerhalb des Hauses sehen lassen. In dieser Zeit gibt es auch keine Gottesdienste, obwohl Sonntag ist. Wieder einmal ist eine Volkszählung angesagt, die so im Schnitt alle 10 Jahre durchgeführt wird.
Es gibt in diesem Land kein Einwohnermeldeamt oder sonstige Behörden, die genauere Daten erfassen könnten. Also muss man zu solch einem Mittel greifen. Dann gehen die Zähler von Haus zu Haus und erheben die Daten.
Was wird so alles gefragt werden bei dieser siebten Volkszählung?
Das Spannendste ist die Bevölkerungsentwicklung. 1950 gab es in Ecuador etwas über 3 Mio. Einwohner. Diese Zahl ist leicht exponentiell gestiegen auf nunmehr ca. 14 Mio. Aber es gibt Anzeichen, dass diese Entwicklung sich nach unten kehrt, d.h. es nicht nur keine exponentielle Zunahme mehr, sondern eine Verminderung der Zunahme abzeichnet. Das hieße, dass Ecuador auf einen Punkt der Sättigung zusteuert, wie es reiche Länder schon erreicht haben. 2001 haben die bis 14 Jahre alten Menschen genau ein Drittel der Landesbevölkerung ausgemacht. Wo stehen diese jetzt und wie viele Kinder hat diese Gruppe heute?
Zum anderen ist wichtig, wie die einzelnen Volksgruppen wachsen und welche Vermischung zwischen den Ethnien bestehen. Auch das ist eine neue Entwicklung, die es in den zurückliegenden Jahrzehnten nur als Ausnahme gab. Solch eine Vermischung findet fast ausschließlich in Städten statt, wenn die Indianer ihr angestammtes Dorf verlassen. Genauso interessant ist aber auch die Frage nach der aktuellen Familienstruktur, etwa die Frage, wie viele Behinderte gibt es, die sonst nirgends erfasst sind. Wie viele Menschen arbeiten, vielleicht Teilzeit, ohne dass sie irgendwie sonst erfasst wären?
Ein weiteres großes Feld der Fragen ist die moderne Technik. Wie viele Menschen haben einen Computer, wer benutzt internet und wer hat ein Handy? Wer hat welches Studium absolviert und arbeitet er oder sie auch in diesem Beruf? Damit soll auch die Effektivität der Ausbildungsstätten überprüft werden. Es ist die Datengrundlage, Ausbildungsangebote besser steuern zu können.
Und zum Schluss die heikelste alle Fragen: Wer wohnt alles in der Wohnung, in dem Haus? Diese Frage ist deswegen umstritten, weil es seit Neuestem Gesetze gibt, die der Regierung erlauben, ungenutzten Wohnraum oder ungenutztes Land per Dekret Bedürftigen zur Verfügung zu stellen. Wer also mehrere Wohnung besitzt, sie leer stehen lässt und vielleicht damit spekuliert, fürchtet jetzt um seine Gewinnmöglichkeiten und möglicherweise um staatliche Eingriffe in seine Freiheit.

Ecuador braucht ein neues und aktuelles Foto für die Planung seiner Zukunft. Dazu muss das Land einmal 10 Stunden stillstehen, die Luft anhalten und lächeln. Aber viele Daten können auch missbraucht werden und jeder weiß: Vertraulichkeit gibt es in diesem Land nicht und so werden manche Menschen nur sehr vorsichtig die Fragen beantworten.

Sonntag, 7. November 2010

Es gärt in Ecuador

Es ist schwierig, derzeit in Ecuador an Information zu kommen. Die staatlich gelenkten Medien geben keine andere als regierungsfreundliche Information weiter. Für die anderen Medien herrscht Nachrichtensperre. Und dennoch ist kein Friede eingekehrt, seit am 30 September ein kleiner Kreis Polizisten den Präsidenten Rafael Correa einige Stunden festgehalten hat. Kidnapping sagt die Regierung, berechtigter Protest sagen die anderen. Über 250 Polizisten und Militärs werden derzeit überprüft und sitzen in Haft, einschließlich des Leiters des Militärkrankenhauses, in dem der Präsident festgehalten worden war. Ihnen droht ein Prozess laut Regierung wegen versuchten Mordes an Correa. Was also wirklich an Gefühlen und Meinungen derzeit bei einflussreichen Schichten der Bevölkerung kocht, kann man nur ahnen. Ein Zeichen der Unzufrieden entlud sich vor wenigen Tagen beim Richter, der den Fall des Hospitalleiters der Polizei bearbeitet. Auf sein Haus wurde ein Attentat verübt. Trotz zweier scharfer Rotweiler-Hunde, die das Grundstück schützen sollen wurde ein Auto gegen die Wand gefahren und anschließend angezündet. Es wurde nichts gestohlen. Es wird klar von einem Attentat, einer letzten Warnung ausgegangen. Wer dahinter steckt, kann man derzeit nur ahnen. Aber es zeigt, dass die Regierung nicht alles im Griff hat. Und ob die persönliche rund um die Uhr - Bewachung aller mit solchen Fällen befassten Richter da Abhilfe schafft, darf bezweifelt werden
Die Regierung hat viele ihrer Ankündigungen wahr gemacht. Das unterscheidet sie von vielen bisherigen Regierungen. So sind von 628 kurzfristig suspendierten Arbeitern der staatlichen Petroleumgesellschaft der Raffinerie an der Küste nur12 wieder eingestellt worden. Die anderen haben nachgewiesener Maßen zusätzlich an einer Firma verdient, die das Öl an Fischer weiter verkauft. Das ist laut Gesetz verboten, aber viele halten sich nicht daran. Derzeit werden viele Mitarbeiter der Ministerien in Quito entlassen. Ihre Arbeit wird jährlich evaluiert und sie wurden als ineffektive Mitarbeiter nun auf die Straße gesetzt. Manche haben viele Jahre dort gearbeitet. Jetzt wird ein Schussstrich gezogen. Das spricht sicher für die Regierung, erhöht aber auch die Zahl der Feinde.
Es ist zweifellos das Verdienst der Regierung Correa, alte, ineffektive Zöpfe abzuschneiden. Das formt aber zweifelsohne auch den Widerstand. Wenn der sich nicht irgendwo legal Luft verschaffen und artikuliert werden kann, bei der fehlenden Pressefreiheit dieser Tage, kann sich das leicht in illegalen Aktionen wie Attentaten Ausdruck verschaffen, was wieder Wasser auf die Mühlen der Regierung ist. Dieser Druck muss sich irgendwo artikulieren dürfen, sonst leben wir in einer Diktatur.