Montag, 10. Mai 2010

Pico y Placa

Wenn derzeit das Wort des Jahres in Quito zu wählen wäre, das Ergebnis wäre eindeutig: "Pico Y Placa". Denn es gibt eine neue Verkehrsregelung für die Hauptstadt. An bestimmten Tagen und festgesetzten Zeiten darf man nicht mehr sein Auto benutzen. Das wirbelt das Leben ganz schön durcheinander.
Wie in allen Großstädten der Erde ist der Autoverkehr zu Stoßzeiten chaotisch und so hat man in Quito andere lateinamerikanische Städte kopiert. Morgens von 7.00 - 9.30 und abends von 16.00 - 19.30 werden 20% der Autos von den Straßen verband. Entscheidend ist die Endnummer des Nummernschildes. Montags sind es die Endnummern 1 & 2, dienstags 3 & 4 usw bis freitags 9 & 0. Für das Wochenende gilt keine Einschränkung.
Monate lang wurde darüber gestritten, wochenlang darüber aufgeklärt. Zeitungen, Radio - und Fernsehprogramme gaben Information. In der Woche vorher wurde Probe gefahren. Maskierte Helfer neben Polizisten trugen die verbotenen Nummern für alle sichtbar und der Fahrer wurde auf die neue Regelung aufmerksam gemacht. Seit Anfang Mai ist die Regelung nun in Kraft. PICO ist die Stoßzeit des Straßenverkehrs und PLACA ist das Nummernschild. Ein riesiges Aufgebot von Polizisten überprüfen die Stadteinfahrten und alle wichtigen Verkehrsknotenpunkte. Sie filtern die Sünder heraus. Die Strafe sind $ 80,- und Punkte in der hiesigen "Vehrkehrssünderkartei". Ausgenommen sind Taxis und Busse, Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen, der diplomatische Dienst, Fahrzeuge des Staates und der Tourismusbranche. Und was ist mit ausländischen Fahrzeugen? Darauf habe ich bisher noch keine Antwoirt gefunden.
Neben der Aufklärung wurde den Menschen aber eine echte Alternative geboten: "Benutzt öffentliche Verkehrseinrichtungen!". "Tut euch zu Fahrgemeinschaften zur Arbeit zusammen!""Denkt über Alternativen wie Fahrrad nach!"
Das Ergebnis ist nach den ersten Tagen verblüffend. 20% weniger Fahrzeuge und deutlich weniger Staus. Das Stadtbild hat sich zu den Stoßzeites des Verkehrs geändert. Quitos Luft ist besser geworden. Doch die Menschen müssen sich erst daran gewöhnen. Sitzungen etwa in einer Kirche fallen aus weil der eine oder andere eben an diesem Abend nicht kann, der andere an einem anderen Wochentag nicht. Sonst müsste man ja mit dem Bus fahren und das ist gegen den sozialen Status. So dürfen wir wieder neu zusammen finden nach dieser Regelung.
Aber es ist auch die Zeit, in der einige Polizisten versuchen, persönlliches Kapital aus der Unsicherheit zu schlagen. Sie halten Kleinbusse an, die für Firmen und Schulen fahren. So Mancher hat da wohl schon bezahlt, um nicht Negativpunkte auf seiner Verkehrssünderkartei zu sammeln und Geld zu verlieren.
Insgesamt ist die neue Reglung ein Erfolg. Die Erfahrung anderer Städte des Kontinentes zeigt aber, dass freiere Straßen eher ein Anreiz zum Kauf eines Fahrzeuges sind, ganz zum Jubel der Autoverkäufer. Und dann sind wir nach kurzer Zeit wieder da, wo wir angefangen haben, nur mit dem Unterschied, dasss die Kontrollen eine Menge Geld kosten und ohne diese Kontrollen bricht das Chaos wieder aus.

Sonntag, 2. Mai 2010

Friedenskind auf ecuatorianisch

Ein 15 - jähriges Mädchen kommt zu uns in Krankenhaus zur Entbindung. Sie ist aus dem Urwald. Daran ist nichts Besonderes. Mit dabei ist auch der 25 - jährige Vater des Kindes und alles geht seinen gewohnten Gang bis zur Entlassung. Plötzlich taucht ihr Vater auf und verlangt, dass die Tochter mit zu ihm nach Hause kommt. Das Mädchen bricht in Tränen aus. Sie will nicht. Doch der Vater droht mit der Verhaftung des jungen Mannes, mit dem sie schon ca. 1 Jahr zusammen gelebt hat. Er habe die Tochter verführt und ihm droht Gefängnis wegen Verführung Minderjähriger. Schließlich erscheint auch dieser Vater des Kindes mit seinen Familienangehörigen. Der Krieg im Entbindungsbereich des Hospitales ist vorprogrammiert. Die Schwestern rufen um Hilfe. Wie ist die Situation jetzt zu lösen?

Um das Ganze zu verstehen, muss man die Hintergründe ein wenig besser kennen. Beide Familien sind miteinander bekannt, ja sogar entfernt verwandt. Bei einem Fest oder Besuch lernt der Junge das Mädchen kennen. Sie verlieben sich Hals über Kopf und als der junge Mann abreist, hängt sich das Mädchen an ihn. Viele Dörfer weiter leben sie dann zusammen bis sie schwanger wurde und zur Entbindung nach Shell kommt. Der Vater bekommt das mit. Vielleicht hat er auch nur darauf gewartet. Jetzt meldet er seinen Anspruch an und das ecuatorianische Gesetz gibt ihm recht, zumal die beiden standesamtlich nicht verheiratet sind, was im Urwald kaum einer macht. Nach deren Kultur sind sie ein Ehepaar. Wir müssen das Ganze mehr aus der Sicht der Indianer sehen und ihrer Kultur. Mädchen- Frauenraub ist weit verbreitet. Und viele Male sind es auch die Mädchen, die ihre Familie verlassen wollen. Das Basis - Bibelwort für Ehen: "Vater und Mutter verlassen und dem Ehepartner anhangen...." hat hier noch eine ganz ursprüngliche Bedeutung für Mann und Frau. Beide müssen einen Abnabelungsprozess durchlaufen, auch wenn sie vielleicht ganz nahe bei den Eltern wohnen. So fordert der Vater verständlicherweise Genugtuung und das staatliche Recht steht im dazu bei. Wie also diesen gordischen Knoten lösen?

Das war Klaudias Aufgabe als Familienberaterin. Sie hat den Vater erst einmal "Dampf ablassen" lassen. Er hat recht, aber was ist die Lösung? Rein theoretisch und rechtlich konsequent könnte die Tochter mit ihm nach Hause ziehen und der frischgebackene Vater mit seinem Sohn, denn darauf hat er mehr Recht. Mutter und Kind wären getrennt. Dass das hier nicht geht, war jedem klar, also musste eine Einigung her. Nach 100 Minuten Gespräch zwischen den Familien haben die sich selbst geeinigt: Die junge Familie zieht nun zusammen ins Dorf ihrer Familie und lebt unter der Obhut ihres Vaters für einige Zeit.
Hintergrund ist, dass "Verlobte" erst einmal von beiden Familien unter die Lupe genommen werden wollen. Das hatte er aber nicht getan. Er hatte auch nicht um ihre Hand angehalten. Da fehlte etwas. Da war noch ein Rechnung offen, um Frieden in die Familien zu bringen. Wie oft war dieses Verhalten im Dorf des Mädchens wohl besprochen worden ohne dass die jungen Leute davon eine Ahnung hatten. Unfriede war in der Beziehung beider Familien eingezogen. Früher hätte das zu Krieg geführt. Der Friede musste jetzt durch Aufdecken der Schuld und einer gemeinsamen Lösung nachgeholt werden. Ein praktisches Beispiel für unsere Aufgabe als Missionare.