Sonntag, 14. November 2010

Alle Räder stehen still

Am 28. November 2010 stehen in Ecuador alle Räder still. Keine Taxis, keine Busse, keine Menschen auf den Straßen. Wie bei einem Foto wird ganz Ecuador zuhause festgehalten und darf sich von 7.00 bis 17.00 nicht außerhalb des Hauses sehen lassen. In dieser Zeit gibt es auch keine Gottesdienste, obwohl Sonntag ist. Wieder einmal ist eine Volkszählung angesagt, die so im Schnitt alle 10 Jahre durchgeführt wird.
Es gibt in diesem Land kein Einwohnermeldeamt oder sonstige Behörden, die genauere Daten erfassen könnten. Also muss man zu solch einem Mittel greifen. Dann gehen die Zähler von Haus zu Haus und erheben die Daten.
Was wird so alles gefragt werden bei dieser siebten Volkszählung?
Das Spannendste ist die Bevölkerungsentwicklung. 1950 gab es in Ecuador etwas über 3 Mio. Einwohner. Diese Zahl ist leicht exponentiell gestiegen auf nunmehr ca. 14 Mio. Aber es gibt Anzeichen, dass diese Entwicklung sich nach unten kehrt, d.h. es nicht nur keine exponentielle Zunahme mehr, sondern eine Verminderung der Zunahme abzeichnet. Das hieße, dass Ecuador auf einen Punkt der Sättigung zusteuert, wie es reiche Länder schon erreicht haben. 2001 haben die bis 14 Jahre alten Menschen genau ein Drittel der Landesbevölkerung ausgemacht. Wo stehen diese jetzt und wie viele Kinder hat diese Gruppe heute?
Zum anderen ist wichtig, wie die einzelnen Volksgruppen wachsen und welche Vermischung zwischen den Ethnien bestehen. Auch das ist eine neue Entwicklung, die es in den zurückliegenden Jahrzehnten nur als Ausnahme gab. Solch eine Vermischung findet fast ausschließlich in Städten statt, wenn die Indianer ihr angestammtes Dorf verlassen. Genauso interessant ist aber auch die Frage nach der aktuellen Familienstruktur, etwa die Frage, wie viele Behinderte gibt es, die sonst nirgends erfasst sind. Wie viele Menschen arbeiten, vielleicht Teilzeit, ohne dass sie irgendwie sonst erfasst wären?
Ein weiteres großes Feld der Fragen ist die moderne Technik. Wie viele Menschen haben einen Computer, wer benutzt internet und wer hat ein Handy? Wer hat welches Studium absolviert und arbeitet er oder sie auch in diesem Beruf? Damit soll auch die Effektivität der Ausbildungsstätten überprüft werden. Es ist die Datengrundlage, Ausbildungsangebote besser steuern zu können.
Und zum Schluss die heikelste alle Fragen: Wer wohnt alles in der Wohnung, in dem Haus? Diese Frage ist deswegen umstritten, weil es seit Neuestem Gesetze gibt, die der Regierung erlauben, ungenutzten Wohnraum oder ungenutztes Land per Dekret Bedürftigen zur Verfügung zu stellen. Wer also mehrere Wohnung besitzt, sie leer stehen lässt und vielleicht damit spekuliert, fürchtet jetzt um seine Gewinnmöglichkeiten und möglicherweise um staatliche Eingriffe in seine Freiheit.

Ecuador braucht ein neues und aktuelles Foto für die Planung seiner Zukunft. Dazu muss das Land einmal 10 Stunden stillstehen, die Luft anhalten und lächeln. Aber viele Daten können auch missbraucht werden und jeder weiß: Vertraulichkeit gibt es in diesem Land nicht und so werden manche Menschen nur sehr vorsichtig die Fragen beantworten.

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