Montag, 23. Januar 2012

Kulturveränderungen

Dieser Tage war ein Ärzteteam unserer Mission im Urwald. Bisher kann der Ort nur mit dem Flieger erreicht werden, aber sie sind schon kräftig dabei eine Straße dorthin zu bauen. Gerufen wurden sie von den dortigen Lehren einer Sekudaria, also einer weiterführenden Schule bis zum ecuatorianischen Abitur. Die Mediziner sollten die Schüler untersuchen. Das klang alles gut, bis das Team dort ankam und mit den wirklichen Tatsachen konfrontiert wurde: Sie sollten die Kinder lediglich auf Geschlechtskrankheiten hin testen. Das war zunächst ein Schock, aber weil sowohl ein Arzt als auch Ärztinnen im Team waren, klappten die Untersuchungen und konnte zu den einzelnen Schülern Vertrauen aufgebaut werden. Die Lehrer waren wütend, weil sie die Ergebnisse nicht erzählt bekamen. Das Ergebnis war erschütternd. Schülerinnen der oberen Klassen hatten im Schnitt mindestens 3 verschiedene Sexualpartner pro Jahr und bei vielen dieser Begegnungen wurde Gewalt angewendet. Aber auch fast jeder Lehrer war in dieser Richtung tätig. Zur Belohnung gab es dann eben bessere Noten. Was die Lehrer wirklich wissen wollten, war, wer der Jungen oder Mädchen Geschlechtskrankheiten aufwies und somit ein persönliches Risiko für die Lehrer darstellt. In den höheren Klassen hatte so gut wie alle regelmäßigen sexuellen Verkehr.
Das ist kein Einzelfall. In der Schule unserer Gemeinde in Mondayacu wurde jetzt ein Kurs angeboten, um die Mädchen auf die Union Libre vorzubereiten. Union Libre ist eine Form der staatlich geregelten Partnerschaft. Die beiden sind dann zwar nicht verheiratet, aber es werden Besitz - und Verantwortungsbereiche darin geregelt. Die Trennung ist leichter als bei Heirat. Man braucht keinen Anwalt, um einen Scheidungsprozess zu durchlaufen. Der gemeinsame Besitz wird geteilt, aber es bestehen weiterhin Pflichten für die gemeinsamen Kinder. In dieser Schule wie in vielen anderen sind viele Mädchen in den höheren Klassen schwanger. Manche leben mit ihrem Partner zusammen andere nicht. Sie brauchen Hilfe in den Fragen des Alltages. In diesem Dorf gibt es seit Jahren keine offizielle Hochzeit mehr, gibt es keine verheirateten Paare, nur solche der Union Libre.
Wie kommt das?
In der Kultur der Indianer ist es üblich, dass Mädchen vergewaltigt werden. Das war schon immer so und gehört bis zu einem gewissen Grad zum Leben dieser Menschen. Von daher erscheint es vielen nicht so schlimm. Man muss eben darüber hinweg kommen und sich einen "Beschützer" = Mann suchen. Zum anderen hat das moderne Leben dem Urwald auch seinen Stempel aufgedrückt. Mädchen heiraten dort normalerweise mit um die 15 Jahre. Das ist aber die Zeit, in der sie jetzt zur Schule gehen müssen. Der Schulweg ist oft lang und damit gefährlich. Viele wollen eigentlich nicht, aber der Druck der Gesellschaft bringt sie zur Schule. Für die Lehrer sind sie Freiwild. Die Lehrer sind oft nicht genügend ausgebildet zum Unterrichten in den Städten - dann eben ab in den Urwald, wo sie auch frustriert sind. Dort aber sind sie eine Autorität, gegen die die Eltern auch oft machtlos sind. Sie nützen ihre Macht aus.
Abtreibung ist in Ecuador offiziell verboten. Aber im Regenwald hat man seit Menschengedenken seine "Pflanzen" zur Abtreibung. Viele Apotheken verkaufen unter derm Ladentisch Abtreibungsmittel an und die ersten Organisationen bieten unter statlichem Stillschweigen ihre Dienste an. Auf der Rückseite von Strassenschildern stehen mit Hand geschrieben Telefonnummern für "sichere Abtreibungen".
Die Kultur der Indianer ist im Umbruch. Das zeigt sich derzeit vor allem im Bereich Familie und Sexualität. Die Regierung ist stolz auf die neuen Initiativen im Urwald und zeigt sie in Progagandasendungen. Die Fassade trügt. Und wer hilft diesen Jugendlichen wirklich?

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