Sonntag, 27. September 2009

Schicksale an der kolumbianischen Grenze

Ecuador wird seit Jahren von Kolumbianern überschwemmt. Entwurzelte Menschen kommen in Scharen über die Grenze. Ursache ist der dortige Bürgerkrieg. Besonders hart trifft es die Landbevölkerung. Da halten die Guerilleros ein Gebiet unter ihrer Kontrolle und bringen jeden um, der damit nicht einverstanden ist. Sie errichten eine lokale Verwaltung und sorgen für ein geregeltes Leben. Irgendwann kommen dann die "Paramilitares", ein Privatarmee einiger Reicher und Gegner der linken Untergrundsbewegungen. Sie verdrängen die Guerilleros und rechnen mit jedem ab, der in deren "Regierungszeit" einen Posten hatten oder irgendwie mit ihnen kollaborierte. Dann kann im nächsten Jahr das Spielchen von neuem losgehen. Leidtragende dieses Machtkampfes sind die Menschen auf dem Lande. Sie können ihre Produkte nicht mehr auf den Markt bringen, denn wer transportiert in so einem unsicheren Gebiet schon Waren? Wer sich irgendwie engagiert hat, wird beim nächsten Wechsel liquidiert. Und männliche Jugendliche sind in der Gefahr, zwangseingezogen und so ungewollt Soldaten auf Lebenszeit zu werden. Also fliehen viele Menschen über die Grenze.
Hier einige Beispiele aus meiner monatlichen Sprechstunde in San Lorenzo, an der Küste, ca 10 km von der kolumbianischen Grenze entfernt. Dort kommen gelegentlich ganze Wellen von mehreren Tausend Flüchtlingen an. Einige wenige bleiben, die meisten verteilen sich weiter über Ecuador:
Ein Mann Mitte 40 hat bei einem Schusswechsel eine Arterienverletzung del Beines erlitten. Als Folge davon sind ganze Muskelgruppen abgestorben, haben sich entzündet. Sein Bein ist steif geworden, aber in einer Stellung, die das Laufen fast unmöglich macht. Und doch er hat Arbeit in einer Plantage gefunden. Jetzt wartet er darauf, dass wir seine Knochen umstellen, das er besser laufen kann. Staatliche Stellen kümmern sich wenig um solche Leute und in Quito könnte er so eine Behandlung nicht bezahlen.
Eine Frau kommt mit Schmerzen am ganzen Körper. Die Untersuchung zeigt schwere rheumatische Veränderungen der Wirbelsäule. Die Schmerzen sind erklärlich und können nur mit Krankengymnastik und Medikamenten in erträglichem Rahmen gehalten werden. Warum aber erscheint sie so wehleidig? Dann berichtet sie, wie zuerst ihr Mann, dann später ihr Sohn erschossen wurden. Die Tochter haben sie vor ihren Augen vergewaltigt und dann getötet. Sie allein blieb übrig und konnte fliehen.
So erfahre ich jeden Monat einen kleinen Teil der wirklichen menschlichen Tragödien. Hier und da können wir das Leid etwas mindern. Aber zu einer wirklichen Änderung braucht es viel mehr. Ich erkenne bei den Kolumbianern in Ecuador zwei Extreme: Die einen sind kaputt und verzweifelt. Und sie warten eigentlich nur darauf, wieder in die alte Heimat zurückkehren zu können. Sie schlagen sich mehr schlecht als recht durch, haben aber letztlich keine Hoffnung mehr. Das andere Extrem sind die Menschen, die sich trotz widrigster Umstände an Neues wagen, nicht aufgeben. Sie beginnen ein Geschäft, wechseln aber auch, wenn etwas anderes lukrativer erscheint. Und viele sind in kürzester Zeit in Spitzenstellungen des Lands, zum Leidwesen vieler Ecuatorianer.
Es passiert das Gleiche, das Deutschland am Ende des zweiten Weltkrieges mit den zahlreichen Flüchtlingsströmen erlebt hat und es wiederholt sich weltweit.

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