Montag, 20. Juli 2009

Eine Familie in der Zerreißprobe:


Bei Schlangenbissen besteht die Gefahr des Kompartment Syndromes. Die Muskel schwellen so stark an, dass sie ihre eigene Gefäßversorgung verschließen. Nach 8 Std. Schmerzen ist der Muskel tot. Es tut auch nicht mehr weh. So kam die 9-jährige Shuarindianerin Rosa fast 4 Tage nach Schlangenbiss zu uns. In anderen Hospitälern vorher hatte man ihr reichlich Schmerzmittel verabreicht. Dann aber begann das Bein zu stinken. In so einmal Fall würde kein Indio die sofortige Amputation verstehen. Also haben wie die Muskellogen des Unterschenkels eröffnet und erst einmal bis zum nächsten Morgen gewartet, damit der Vater von der Richtigkeit der Diagnose überzeugt ist. 8 Std. später sollte dann der Unterschenkel entfernt werden. Doch bei Tag sah er das alles anders. Argumente wie: „Wir als Indianer haben schon viele Schlangenbisse erlebt und schwärzere Beine gesehen, die dann heilten"! "Ich bringe sie zum Zauberer, der macht das schon!" Dahinter steckte die blanke Angst, denn seine Frau hatte ihm vor der Verlegung nochmals eingebläut, bloß keiner Amputation zuzustimmen. Viele Schwestern und Ärzte redeten den ganzen Tag über mit dem Mann. Es blieb beim Nein. Erst als die Tochter wegen der Vergiftung des toten Gewebes langsam in die Bewusstlosigkeit abglitt und eine Krankenschwester in seiner Sprache mit ihm sprach, stimmte er unter Tränen zu. 15 min später war der Unterschenkel amputiert. Es folgte einige kritische Tage auf Intensivstation. In dieser Zeit kam die Mutter überraschend zu Besuch. Es gab einen hysterischen Aufstand. Sie hätte am liebsten das Hospital kurz und klein geschlagen. Erst als sie vor Erschöpfung nicht mehr konnte, beruhigte sie sich etwas. Doch die Vorwürfe an Hospital und Ehemann sind jetzt noch greifbar. Worte wie: "Es wäre besser, wenn meine Tochter gestorben wäre!" darf man da nicht so auf die Goldwaage legen.
Jetzt, nach einer Woche ist die Entzündung am Abklingen. Heute war Rosa das erste Mal im Rollstuhl unterwegs. Eine Familie beginnt sich mit dem Schicksal abzufinden. Von Frieden kann noch lange keine Rede sein. Aber ein Menschenleben ist gerettet. Doch das Mädchen hat noch einen langen Weg vor sich bis zu einem halbwegs normalen und akzeptierten Leben im Dorf.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen