Samstag, 4. Dezember 2010

Behindert und doch am richtigen Platz


Es gibt Situationen für einen Urwaldbewohner, die gleichen einem Todesurteil. Das schien dem Shuarindianer Humberto Tangamash im März 1976 so, als ein umfallender Baum ihm die Brustwirbelsäule zerbrach. Er lebt seitdem mit einer hohen Querschnittslähmung. Über ein halbes Jahr lag er seinerzeit in unserem HCJB - Hospital. Alle Versuche, ihn anschließend wenigstens zum Stehen zu bringen, scheiterten kläglich. Er ist an den Rollstuhl gebunden. Das heißt in seinem Dorf, dass er nicht einmal alleine zum Fluss kommt. Und nicht nur das: Seine erste Frau starb an Hepatitis, seine zweite Frau an Krebs. Grund genug, um mit seinem Schicksal zu hadern. Was in diesen Jahren alles in diesem Mann vor sich gegangen ist, können wir kaum ahnen und doch hat Umberto seine Lebensaufgabe entdeckt, die er wie kein anderer seines Stammes anpackt: Die Bibelübersetzung speziell des Alten Testamentes in Shuar.
Ein paar Tage jeden Monat kommt das Übersetzerteam aus den verschiedenen Teilen des Stammes zusammen, um mit einem Missionar die Ergebnisse zusammen zu fassen. Umberto wird dorthin geflogen. Immer wieder ist die Arbeit durch Krankheiten unterbrochen. Dass er überhaupt noch lebt, ist ein Wunder. Solche Patienten haben häufige Harnwegs- oder gar Niereninfekte. Umberto lebt ohne Katheder und hat gelernt, Stuhl- und Urin zu kontrollieren. Seit Jahren hat er eine wunde Stelle am Gesäß, seit Neuestem eine Knochenentzündung im Becken, die wir kaum in den Griff bekommen. Immer wieder landet er wegen Infektionen im Hospital, mal ein Verdacht auf Tuberkulose, mal anderes unklares Fieber. Aber immer kommt er mit Büchern, die sein ganzes Bett belegen. Er kennt ganze Teile der Bibel auswendig. Er ist von seiner Aufgabe begeistert. Seine Kinder haben ihn verlassen, ein Nachbar kümmert sich um ihn, bringt ihn an den Fluss zum Baden damit seine Muskeln fit bleiben. Oft genug ist er Tage lang alleine, bekommt zu wenig zu essen, dann soll er wieder eine Riesenmahlzeit auf einmal einnehmen. Er ist unterernährt. Auch das macht ihn anfällig für Krankheiten. Aber sein Ziel bleibt: Das Alte Testament will er noch übersetzen und das Neue revidieren. "Dafür hat mir Gott Zeit und Gesundheit gegeben, deswegen lebe ich heute noch"! ist sein Motto, mit dem er anderen Patienten Mut macht, wenn sie glauben, dass es nicht weiter geht. Seine Verletzung sieht er als die Chance an, etwas wirklich Wichtiges zu tun. Sein Leben hat einen Sinn bekommen.

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